11. Stifterversammlung
12. November 2017
Anmerkungen zum Vortrag von Vortrag von Dr. Benjamin Hasselhorn:
Gastvortrag zur 11. Stifterversammlung am 12.11.2017 von Dr. Benjamin Hasselhorn aus seinem Buch: „Das Ende des Luthertums?“
In seinem Buch sucht Benjamin Hasselhorn nach Erklärungen für die Auflösungserscheinungen sowie für die grundlegenden Wandlungen im evangelischen Christentum der Gegenwart. Wird das Reformationsjubiläum auch für das Kerngeschäft der Kirche neue Impulse bringen – die Gemeindearbeit, den Gottesdienst, die Theologie und ihre Umsetzung in Lebenspraxis? Wünschenswert wäre das. Die Situation in vielen evangelischen Gemeinden scheint nämlich nicht so recht zur Aufbruchstimmung des Reformationsjubiläums zu passen. Vom Rückgang der Kirchenmitgliedszahlen, von Austrittswellen, von schrumpfenden Gemeinden und eingesparten Pfarrstellen ist schon seit Langem die Rede. Vom Luthertum ist heute in der evangelischen Kirche nicht mehr viel zu spüren.
Als besondere Ausprägung evangelischer Frömmigkeit scheint es historisch an sein Ende gelangt zu sein. Innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland jedenfalls kommt das Luthertum nicht mehr wirklich zum Tragen.
Benjamin Hasselhorn hat am Anfang des Buches die 4 Grundprinzipien des Luthertums beschrieben:
- Gottvertrauen,
- Hoffnung auf Gnade,
- Gewissensernst und
- Mut zum Bekenntnis
Er hat auch geschildert, dass diese Grundprinzipien, wenn sie nicht entschlossen verteidigt werden, anfällig sind für Missverständnisse und Pervertierungen.
Das Gottvertrauen das Luther aus der Erkenntnis gewonnen hatte, das Gott kein strenger Richter ist, sondern ein liebender Vater, wurde verändert zu einer Verharmlosung Gottes.
Damit hatte man zum fundamentalen Problem des Menschseins – der Erfahrung der
eigenen Sündhaftigkeit – nicht Relevantes mehr beizutragen. Aus Luthers Botschaft:
„Gott liebt dich, obwohl du bist, wie du bist.“ wurde die angeblich evangelische Botschaft: „Gott liebt dich so, wie du bist.“ Damit ist dann jede Schwäche, jede Unzulänglichkeit, jede Bequemlichkeit, jedes unbegründete Selbstbewusstsein als gottgewollt abgesegnet.
Die Hoffnung auf Gnade war ein Kernstück aus Luthers Botschaft. Sie besagte: Du kannst dir dein Seelenheil nicht erkaufen oder erarbeiten, sondern du bist auf Gedeih und Verderb auf Gottes Gnade angewiesen. Du sollst als Christ Gutes tun, aber Gutes tust du nur, wenn deine Motive auch gut sind und du das Gute nicht nur deshalb tust, weil du dir eine Belohnung davon erhoffst. Diese Idee wurde pervertiert zu der angeblich evangelischen „billigen Gnade“ (Dietrich Bonhoeffer). Ich muss nichts büßen, nichts beichten, mich nicht ändern, denn Gott liebt mich ja so, wie ich bin. Die Verharmlosung Gottes wirkte sich also auch auf dieses Grundprinzip des Luthertums verheerend aus.
Der Gewissensernst Luthers hat Schule gemacht, weil er von der Überzeugung getragen war, dass ich das Recht und die Pflicht habe, für das von mir als wahr Erkannte gegen jeden Widerstand einzutreten. Das Gewissen ist für Luther der Ort, an dem ich Gott begegne, weil ich im Gewissen den Ruf Gottes höre, der mich daran erinnert, was gut, was richtig, was notwendig ist. Diese Idee wurde pervertiert, indem das Gewissen als Ausrede benutzt wurde, indem dem Gewissen jeder Forderungscharakter abgesprochen wurde und die Äußerung und Durchsetzung jeglicher subjektiver Privatmeinung als gerechtfertigt erschien. Die lutherische Gebundenheit des Gewissens an Gottes Wort wurde dabei immer weiter verdrängt. Aus „Hier stehe ich , ich kann nicht anders“ wurde schließlich „Evangelisch zu sein heißt zu glauben, was man will“.
Bleibt schließlich noch der lutherische Mut zum Bekenntnis. Die lutherische Gemeinschaft ist eine Bekenntnisgemeinschaft und das Luthertum ist ein Bekenntnis. Luther forderte jeden einzelnen Christen auf, sich zu seinem persönlichen Glauben zu bekennen und an diesem Bekenntnis unter allen Umständen festzuhalten. Der Mut zum Bekenntnis kann aber auch zu einer Dauerüberforderung des Einzelnen führen. Jede Absicherung des individuellen Glaubens durch die Institution, die Tradition, das Amt stand und steht im Luthertum unter einem Vorbehalt. Dieser Vorbehalt aber wurde zu einem Generalverdacht, indem jeder Versuch, die institutionellen Grundlagen des Luthertums zu stärken, als „werkgerecht“ oder als „katholisierend“ kritisiert wurde. Dieser Generalverdacht verhinderte die Ausbildung einer tragfähigen Kirchenstruktur und ließ den Einzelnen allein.
200 Jahre lang haben evangelische Theologen mit all ihrer Kraft an einer Rettung des
Luthertums aus der Modernitätskrise gearbeitet, an einer angemessenen Gestalt des
evangelischen Glaubens in der modernen Welt. Sie sind zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Luther taugt heute noch als Vorbild wie als Schreckbild, wird vereinnahmt und abgelehnt, wird historisiert und auf die eigene Gegenwart bezogen. Ob das Luthertum nach 2017 nur noch in der historisch‐kulturellen Erinnerung fortbestehen wird oder noch einmal lebendige religiöse Kraft entfalten kann, wird sich zeigen. Dies wird in jedem Fall davon abhängen, ob sich wieder Theologen, Pfarrer und Gemeindeglieder finden, die sich den bestehenden, den zum Teil schon sehr lange bestehenden Problemen stellen.
(Auszüge aus dem Buch von Benjamin Hasselhorn: „Das Ende des Luthertums?“;
erschienen 2017; Evangelische Verlagsanstalt Leipzig)