8. Stifterversammlung
Vortrag von Pfarrer i.R. Ulrich Wagner zur Stifterversammlung am 9. November 2014
Liebe Freunde der Loschwitzer Kirche und Stifter, also auch meine Freunde!
Ich freue mich heute wieder hier zu sein, und meine Freude ist nur getrübt, dass hier in der zweiten Reihe nicht meine Frau Vera sitzt, die erkrankt ist, sondern ihre Zwillingsschwester.
Was für ein Tag! So lautete die ganzseitige Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen am 2. Oktober 1994 zur Einweihung unserer Kirche in Loschwitz. Was für ein Tag heute: der 9. November 2014! Die Losung für den heutigen Sonntag und diese Woche spricht es aus: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“(2.Kor 6,2).
Bevor ich Ihnen meine Gedanken zur Stifterversammlung vortrage, noch eine Vorbemerkung: Heute Nachmittag besuchte ich die „Gedenkstätte Bautzener Straße 96“, dort die russischen Gefängniszellen im Keller. Dazu sind mir einige Texte aus Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ in Erinnerung gekommen:
Rudenz zu Geßler: „Der Kaiser ist mein Herr, nicht ihr – frei bin ich geboren…“
Geßler: „Ein allzu milder Herrscher bin ich noch, gegen dies Volk – die Zungen sind noch frei, es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt – doch es soll anders werden, ich gelobes: ich will ihn brechen diesen starren Sinn, den kecken Geist der Freiheit will ich beugen, ein neu Gesetz will ich in diesem Landen verkündigen – ich will –“
Rudenz: „Und frei erklär ich alle meine Knechte.“
Darum geht es: um die Freiheit. Christus hat uns frei gemacht. Dass wir frei bleiben können auch von äußerlichen Zwängen. Es tut mir leid, dass ich in der Kürze der Zeit keine Äpfel beschaffen konnte zur Erinnerung an Tell, sondern nur Birnen. Aber die kommen später auch noch zur Geltung.
Nun zu dem, was ich vorbereitet habe:
9. November 1989! Was für ein Tag in unserer Geschichte als Volk, als Gemeinde, als Familie Der 9. November ist aber auch ein Tag, der zeigt, wie gefährdet die Kirche, die Volkskirche ist:
9.11.1919 Revolution, Ausrufung der Republik, Abschaffung des Kaiserreiches mit seiner Garantie der Staatskirche
9.11.1923 Hitler-Putsch
9.11.1938 Reichskristallnacht: wer sich an Gotteshäusern vergreift, vergreift sich auch an den Kindern Gottes.
Alles das sind Daten, die auch den kirchlichen Niedergang zur Folge haben konnten…
Sie kennen wohl alle die Formulierung des Richters am Bundesverfassungsgericht, Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht selber garantieren kann.“ So ist auch der 9. November 1989 die Voraussetzung für den Kirchbau und in Folge davon der Stiftungsgründung vor 10 Jahren. Doch die Voraussetzungen für die Stiftung waren alles andere als planmäßig, planbar. Es hätte eigentlich alles auch ganz anders kommen können, ja nach menschlichen Vorstellungen anders kommen müssen!
1986 habe ich in die Pfarrkonferenz München-Ost den Vorschlag eingebracht, man möge aus der DDR einen Pfarrer einladen, der uns in der noch-volkskirchlichen Situation etwas erzählt aus seiner nach-volkskirchlichen Situation. Zu meiner Überraschung wurde dieser Vorschlag aufgegriffen. Der bayerische Landesbischof Hanselmann fragte aber nicht den Bischof unserer mecklenburgischen Landeskirche, Stier, sondern beim Lutherischen Weltbund den sächsischen Landesbischof Hempel. Dieser schickte keinen Pfarrer, sondern den Katecheten, Otto Wenzel. Da ihn keiner meiner Kollegen aufnehmen wollte, lud ich ihn zu uns ein, ich war ja der Verursacher seines Kommens. Auf Anhieb verstanden wir uns sehr gut. Auf seinen Wunsch besuchte ich mit ihm so viele Museen wie möglich in München, worauf er sich revanchieren wollte, wenn ich mit Gemeindegliedern aus meiner damaligen Gemeinde der Friedenskirche in Trudering nach Dresden käme. Durch Kontakte zu einem OKR in Dresden, um dessen aus der DDR geflohenen Sohnes ich mich kümmerte damals, übernachteten wir bei unserem ersten Besuch in Loschwitz erst einmal in der Zions-Kirchgemeinde Dresden.
Bei unserem 2. Besuch 1988 brachten wir Pfarrer Selunka dazu, mit in die Kirchruine zu kommen. Nach einer Wanderung zu den Affensteinen im Elbsandsteingebirge feierten wir dort am Lagerfeuer, bis ich nach einigen Bieren gegen 0:30 Uhr die Glocke in der Ruine fünfmal anschlug. Nach kurzer Aufregung: – „Ruhestörung, Nachbarn, Leise sein!“ – kam es über mich und ich sagte, ich müsse jetzt eine Rede halten, in der ich darauf hinwies, dass die fünf Schläge der Glocke an die fünf Wunden Jesu erinnerten und dass diese Ruine nicht zum Lagenfeuer da sei, sondern für Christus das Licht der Welt, und daher wiederaufgebaut werden müsse. Sogleich loderte unter der langjährigen Asche der Enttäuschung und Vergeblichkeit die Glut des Wiederaufbauwillens aller Zuhörer auf. Und Pfarrer Selunka und ich verfassten an Ort und Stelle ein Protokoll, in dem wir uns zum Wiederaufbau der Kirche mit Gottes Hilfe verbündeten.
Peter Fücker dichtete dann einen Kanon um: „Was müssen das für Träume sein, dass die Kirche von Loschwitz wieder aufersteht: Hoffnung, Leute, betet!“
Und wir haben viel gebetet, und die Gebete wurden am 2.10.1994 Wirklichkeit.
Pfingstsonntag 1989 hielt ich meinen 1. Gottesdienst in der Carolinenkirche in Obermenzing und kündigte dabei eine Spende für den Wiederaufbau der Loschwitzer Kirche ab. Eine Besucherin, die eigentlich in eine andere Kirche gehen wollte, wurde hellhörig als sie Loschwitz hörte, und fragte die Vertrauensfrau: was es damit auf sich habe? Diese meinte, sie wüsste nichts, sie solle den neuen Pfarrer fragen, was die Besucherin auch tat. Nach einem Besuch bei ihr, sagte sie mir zunächst 10.000,– DM aus dem Nachlass ihrer verstorbenen Schwester zu, – später nochmals 10.000,–DM. Als ich von diesem Besuch zurückkam, sagte ich zu unserem damaligen Diakon: „Der Wiederaufbau der Kirche in Loschwitz ist gesichert!!!“ Verrückt!
Tage vorher erreichte mich (ich ging zum 1. Mai 1989 in den Münchner Westen, nach mir kamen noch Millionen in den Westen) die Nachricht, dass die sächsische Landeskirche das Verbot des Wiederaufbaus der Loschwitzer Kirche mit den entsprechenden beschämenden Auflagen zurückgenommen hatte. Darauf meinte ich zur Vertrauensfrau, Frau Stamm: „Ab heute werde die Carolinenkirche in ganz Deutschland bekannt!“ (nicht nur am 3.Juni 1988 in Loschwitz hielten mich einige für verrückt, auch an diesem Tage hatte die Vertrauensfrau vom ihrem neuen Pfarrer in der Carolinenkirche die gleiche Meinung).
Aufregung gab es, da ich nach wenigen Wochen bereits nach einem Juristen fragte: – „ich brauche einen für die Satzung des Wiederaufbauvereins…“ –. Mir wurde dann einer empfohlen, der aber sehr schwierig zu gewinnen sei, ein Regierungsdirektor der Regierung von Oberbayern.
Als ich zur angegebenen Zeit an dessen Zimmertür anklopfte, blieb diese verschlossen: Bedenken kamen auf. Sein Sekretär schloss mir dann das Büro auf, an dessen Wänden lauter Fotos des alten Dresden hingen. Neue Hoffnung kam auf. Als der Beamte dann in das Zimmer kam, herrschte er mich an: „Die Kommunisten…Wiederaufbau…“. In meiner Verzweiflung bat ich Gott mir zu helfen, wiederum spontan sagte ich: „Meine Frau hält mich für verrückt“…Da sprang er auf und schrie mich an: „Und Sie sind auch verrückt! Ich mache ihnen die Satzung.“ Kurze Zeit später war die Satzung verfasst und vom ihm schon genehmigt, denn er war der dafür zuständige Beamte! Später meinte er auf die Frage, warum er zunächst so böse und hart zu mir war, er hätte seine Rührung verbergen wollen, Dass ein wildfremder Pfarrer eine Kirche in seiner Heimatstadt aufbauen wolle und er dieses nicht zeigen und losheulen wollte… Später habe ich ihn beerdigt. Beim dritten Mal gelang es ihm, sich das Leben zu nehmen.
Am 29.7.89 fand dann in der Carolinenkirche die Gründungsversammlung des „Verein zum Wiederaufbau der Kirche zu Loschwitz“ statt, die ich unter das Wort Apg. 5, 38b, 39a gestellt habe: „Ist der Rat oder das Werk aus den Menschen, so wird ́s untergehen; ist ́s aber aus Gott, so kann es niemand hindern.“ Diesen Wiederaufbau konnte niemand hindern, nicht einmal die sächsische Landeskirche. Der 9. November 1989 ermöglichte dann den Aufbau.
Am Erntedankfest 1994 konnte diese Kirche wieder in den Dienst Gottes gestellt werden. Danach sollte Pfarrer Selunka die Gemeinde ganz verlassen, aber er blieb nach erfolgreicher Intervention des Kirchenvorstandes. Die Pfarrstelle in Loschwitz wurde 2004 auf 3/4 gekürzt. Und daher wurde anlässlich des Kirchweih- und Erntedankfestes 2004 die „Stiftung Kirchgemeinde Loschwitz“ gegründet und am 9.11.2007 auch die Tochter, die „Stiftung Zukunft Carolinenkirche“ in Obermenzing. Sie sehen, es hätte ganz anders kommen können, wie gesagt, nach menschlichem Ermessen anders kommen müssen.
Das zeigt aber, wie die Loschwitzer Stiftung ebenso auch wie die Kirche von Voraussetzungen lebt, die sie nicht selber garantieren kann. Wie ja die ganze Kirche von Voraussetzungen lebt, die sie nicht selber garantieren kann: in zwei Tagen, am 1. Novembeer beginnen die sechs Wochen vor Weihnachten – die (alte) Adventszeit. „Jesus Christus, für uns Menschen geworden und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen … er wurde für uns gekreuzigt“, wie es im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von uns bekannt wird. Im Abendmahl hat er ein Gedächtnis gestiftet, der gnädige und barmherzige Herr: Christi Leib, für euch gegeben; Christi Blut, für euch vergossen. Die Kirche, auch diese Kirche hier ist nicht unser Werk, aber wir sind hineingenommen in Gottes Werk. Denn der Sinn und das Ziel dieser, jeder Stiftung ist: „Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“(1. Tim 2,4).
Der 1. Korintherbrief 3, 9-15 spricht das so aus: „Wir arbeiten gemeinsam an Gottes Sache…Ihr seid Gottes Bauwerk…ich habe das Fundament gelegt…andere werden weiterbauen…ein anderes Fundament als das, das ich gelegt habe, nämlich Jesus Christus, wird er nicht legen… mit welchem Material einer weiterbaut auf diesem Fundament, Gold oder Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh… wenn das Bauwerk besteht, so wird er belohnt…“ Gründung, Fundierung = Stiftung. Zeit stiften, Ideen, Mitarbeit, Geld und so Zukunft stiften, können wir alle, jeder auf seine Weise, mit seinen Mitteln, auch wenn es nur Gott zukommt, Zukunft stiften zu können. Wir aber können hingeben, Mittel und uns selber für andere.
Und wenn es noch so wenig ist, wie im Gleichnis von der Speisung der 5.000! Die Jünger wollten das Problem des Mangels, des Hungers loswerden, Jesus wollte, dass sie es lösen. So bringen sie das Wenige, das sie haben, vor Jesus und er segnet es und es reicht für alle. An Gottes Segen ist alles gelegen!!! Auch der Kirchbau in Loschwitz: das wenige, was wir hatten, reichte. 20 Jahre Kirchweihe, 10 Jahre Stiftung Loschwitz.
Dieses Jahr feiern wir aber noch ein anderes Jubiläum. Vor 125 Jahren, 1889, entstand das wohl bekannteste Gedicht, die Ballade, von Theodor Fontane „Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ – im Sozialismus war dieser Junker wie alle anderen nicht angesehen genug, ein Gedicht über ihn zu lernen.
Den Text haben sie bereits in Händen, er wurde mit den Birnen vorhin verteilt, die jetzt endlich thematisiert und zur Geltung kommen. Lassen Sie mich diesem Gedicht nachgehen als einer Szene aus dem Pfarrhof und der Gemeinde Ribbeck im Havelland.Der Herr Pfarrer teilt aus von seinen Früchten; die geistliche Versorgung der Jugend ist sichergestellt. Auch „er fühlte sein Ende, s’war Herbsteszeit“. Das Ende der Volkskirche oder der landeskirchlichen Zuweisung droht.
„Alle Bauern und Bündner mit Feiergesicht sangen: Jesus, meine Zuversicht. Und die Kinder klagten, das Herze schwer: He ist dod nu. Wer giwt uns nu ne Beer?“ Es reicht nicht, seine Zuversicht nur auf Jesus zu setzten in dieser finanziellen Situation; wir sind auch seine Haushalter.
„So klagten die Kinder. Das war nicht recht – ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht!“ „Der neue freilich, der knausert und spart…der alte, vorahnend schon und voll Misstrauen gegen den eigenen Sohn, der wusste genau, was damals er tat…“
Auch wird müssen anerkennen, dass die Landeskirche zunehmend sparen muss und knausernd den Gemeinde immer weniger Geld zur Verfügung stellen kann (oder will, wenn man denkt, wofür diese immer noch Geld hat…).
Eine für mich wichtige Lebensweisheit auch Theodor Fontanes ist: „Man sollte die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Aber man sollte auch dafür sorgen, dass sie so kommen, wie man sie nehmen möchte!“ So gilt es, dass wir uns auf die kommenden finanziellen Änderungen einstellen.
„Und die Jahre gehen wohl auf und ab. Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab.“ Und so flüstert’s im Baume: „Wiste ’ne Beer? Kumm röwer, ick gew’di ’ne Birn. So spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.“
Immer braucht es die Überzeugung, die Glaubensüberzeugung. „Das Land grünt, weil das Wachstum von so vielen Wasseradern im Verborgenen gespeist wird.“ So lautet das Motto der diesjährigen Stifterversammlung.
So vieles Gutes geschieht und geschah im Verborgenen.
Einige Anekdoten dazu:
Sie kennen vielleicht die Geschichte vom Affenbrotbaum. Ein alter Mann pflanzt einen solchen, wird von einem Jungen als Narr beschimpft, da er davon doch nie werde Früchte ernten könne. Der antwortet:
Ich esse von Bäumen, die ich nicht gepflanzt habe und meine Enkel von diesem, von dem ich nie essen werde. Auch wir müssen Vorsorge treffen, dass die nachfolgenden Generationen genug Kirchen haben.
Als ich mit Gemeindegliedern aus Obermenzing und Pfarrer Selunka und auch dem Ehepaar Heffter aus Loschwitz nach Königsberg zu Pfarrer Beyer fuhr – dessen Frau Edith derzeit so elend ist – (Wir saßen damals, weil wir eine Station vorher umstiegen, nicht mehr in dem ICE, der in Eschede verunglückte.
Wir alle leben von Voraussetzungen, die wir nicht selber garantieren können!) – hörte ich von einem dortigen Kirchenvorsteher: „Den Wolf ernähren die Beine. Wenn ein Wolf wartet, bis er gefüttert wird, wird er verhungern.“ So auch in Zukunft die Kirchengemeinden, die müssen selber schauen, wie sie an Geld/Spenden kommen, um finanziell zu überleben.
Antoine de Saint-Exupery: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Als ich bei einem Taufgespräch um eine Spende für die Stiftung der Carolinenkirche bat, meinte der Vater der zwei zu taufenden Kinder, deswegen lassen wir ja die Kinder auch taufen: wenn der Pfarrer in der Zeit der Verunsicherung, des Zweifels an das Überleben der Volkskirche an die Zukunft seiner Kirche glaubt, wollen wir auch dabei sein, sollen unsere Kinder dabei sein. Wenn wir als Pfarrer, als Gemeinde keine Gewissheit ausstrahlen, wer soll dann überzeugen, dass es die Kirche auch in Zukunft braucht? Inzwischen ist dieser Vater Kirchenvorsteher.
Immer braucht es die Überzeugung, die Glaubensüberzeugung! Ich denke an den millionenschweren Neubau der Freien Evangelischen Gemeinde in Ottobrunn, den diese kleine Gemeinde im Mai dieses Jahres einweihen konnte. Ich denke an den Generalbischof der Evang.-Luth. Kirche der Slowakei – im Vergleich zu ihm bin ich ein Waisenknabe. Angefangen hat er in einem Keller mit Bibelstunde zu Zeiten
des Kommunismus, jetzt steht in Preßburg in einem Neubauviertel ein Riesenkomplex mit seiner Kirche, Kindergarten, Schule, den er errichten konnte. Als ich auf seine Einladung zu seinem 50. Geburtstag dorthin kam und dieses sehen und das rege Gemeindeleben erleben konnte, wurde mir wieder deutlich, was Glaubensgewissheit und Glaubensstärke erreichen kann mit Gottes Hilfe.
Und diese Überzeugung hatten wir auch, als wir an und seit jenem 3. Juni 1988 immer wieder sangen:
„Was müssen das für Träume sein, dass die Kirche von Loschwitz wieder aufersteht. Hoffnung, Leute, betet!“
Lassen Sie mich zu Schluss noch einige Denkverse vorlesen, die ich in meinem bisherigen Arbeitszimmer hängen hatte:
„Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will.“ (Victor Hugo)
„Wenn einer alleine träumt, bleibt es ein Traum. Träumen wir aber alle gemeinsam, wird es Wirklichkeit.“ (Pessoa Helder Camara)
„Am Anfang sind die Träume. Danach kommt der Wille und dem Willen folgt die Tat.“ (Therese Schwarzenberg)
„Durch übernommene Verantwortung kommt Sinn in unser Leben.“ (Hans von Keler)
„Jeder ist berufen, etwas in der Welt zur Vollendung zu tun.“ (Martin Buber)
„Gutes tun ist leicht, wenn viele helfen.“ (Hermann Gmeiner)
„Das Unmögliche behandeln, als ob es möglich wäre.“ (Goethe)
„Jedes große historische Geschehen begann als Utopie und endete als Realität.“ (Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi)
„Was müssen das für Träume sein, dass die Kirche von Loschwitz wieder aufersteht. Hoffnung, Leute, betet!“
Guter Hoffnung sein, gute Hoffnung sein lassen, heißt Leben stiften. Ganz konkret hat es dieser 9. November 1989 erreicht. An ihm war ich mit unserer Mutter im Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und hörten die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven, dessen Schlusschor damals die inoffizielle gesamtdeutsche Hymne war. Nachts hörten wir die Meldungen: die
Mauer ist offen! Nach schlechtem Schlaf fuhr ich in aller Frühe ins Dekanat und verteilte an alle Gemeinden meinen Aufruf am kommenden Sonntag die Glocken läuten und in den Gottesdiensten „Nun danket alle Gott…“ singen zu lassen. Die Carolinenkirche war wohl die einzige Gemeinde in München, die das tat. Am Freitag, 10.11.1989, ging ich dann bei der Andacht zum Martinsumzug darauf ein.
Abends saß ich dann, ich sehe es wie jetzt noch, vor dem Fernseher, weinte, trank 2 Flaschen Rotwein, sah immer nur die Freunde der Menschen über die gewonnene Freiheit. Als unsere Kinder, Ulrike ( 8) und Katharina (4), ins Zimmer kamen und den Vater in dieser Bewegtheit, versuchte ich ihnen dieses Geschehen zu deuten als so unglaublich, so wunderbar, dass man es nicht in Worte fassen könne. Ich half mir mit der Aussage: „Ihr dürft euch etwas wünschen, ganz egal was, ihr bekommt es.“ Und wie aus der Pistole geschossen, ohne zu überlegen, sagten beide gleichzeitig: „ein Geschwisterchen“. Es dauerte einige Zeit, bis ich meine Frau davon überzeugen konnte – bei allen Kinder musste sie liegen, unseren Tilman haben wir vor 31 Jahren beerdigen müssen – und der Frauenarzt ihr eine Schwangerschaft wieder erlaubte. Mit Hilfe unserer Mutter – Vera durfte 9 Monate nicht Einkaufen, Kochen, Putzen, Wäschewaschen usw., durfte nicht stehen, musste liegen- und von treuen Gemeindegliedern zwei Kirchenvorsteher stritten sich, wer meine Hemden waschen und bügeln durfte – konnte dann am 4.2.1992 unsere Dorothea Heidelinde Annemarie auf die Welt kommen als bleibendes Denk- und Dankmal für das Geschenk Gottes des 9. November.
Unser ganzes Leben ist ein Geschenk Gottes. Zeigen wir diese unsere Dankbarkeit auch, stiften wir neues Leben in der Gemeinde. Auch über unsere Zeit hinaus. Die Birne in Ihrer Hand möge sie daran erinnern. Aber jetzt genießen Sie sie erst einmal. Ich danke Ihnen.