13. Stifterversammlung

Öffentliche Stifterversammlung
am Sonntag, dem 10. November 2019, 17 Uhr
im Kirchgemeindehaus, Grundstraße 36.

„Sind wir als Kirche noch auf dem richtigen Weg?“
ist der Impulsvortrag überschrieben, den uns Dr. Roland Löffler, Theologe, derzeit aber auch Chef der Sächs. Landeszentrale für politische Bildung, halten wird. Darum herum laden wir zu Andacht und Gesang, Rechenschaftslegung des Vorstandes und zur Begegnung am Buffet ein – herzlich willkommen!

Dr. Roland Löffler, Vortrag zu „Kirche, Stiftungen, Öffentlichkeit“ bei der Stifterversammlung der „Stiftung Kirchgemeinde Loschwitz“ am 10.11.2019

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

haben Sie herzlichen Dank für die freundliche Einladung, aus Anlaß der Stifterversammlung der Stiftung Kirchgemeinde Loschwitz, zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich tue dies sehr gerne. Denn: Stiftungen begleiten mich beruflich und im Ehrenamt seit bald 15 Jahren, die evangelische Kirche praktisch mein ganzes Leben. In dieser Hinsicht, fühle ich mich bei Ihnen doppelt am richtigen Ort. Ihrem Wunsch entsprechend, werde ich einige Ausführungen zum Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit und zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Stiftungen machen.

Biblische und historische Bezüge zur Gegenwart

Ein ereignisreiches Jahr geht langsam dem Ende entgegen, dass uns Deutsche an wichtige Wendemarken unserer Geschichte erinnerte: An 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 80 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, an 70 Jahre Grundgesetz, und heute am 10. November besonders an 30 Jahre Friedliche Revolution und den Mauerfall. Ein Jahr, in dem wir einerseits unserer wechselvollen, oft dunklen Geschichte nicht entkommen können. Ein Jahr aber auch, dass an die Wegmarken erinnert, die unauslöschlich mit vielen mutigen Frauen und Männern der deutschen Geschichte verbunden sind. Sie traten für Freiheit und Demokratie, für Grundwerte und gesellschaftliche Aufbrüche ein, positionierten sich gegen Totalitarismus, Obrigkeitsdenken, gegen Krieg und Gewaltherrschaft, wollten aus Völkermord und Verfolgung lernen. Ein Jahr, das uns mit der sächsischen Landtagswahl aber auch aufforderte, Richtungsentscheidungen zur Zukunft unseres Landes zu treffen. Ein Jahr, das internationale Debatten auslöste über Frieden, Migration, über Umwelt- und Klimaschutz, die weltwirtschaftliche Entwicklung, das europäische Einigungswerk, über Meinungs- und Pressefreiheit, das Verhältnis der westlichen Nationen untereinander und zu anderen Teilen der Welt.

Die Kirche hat das Jahr unter die Losung „Suche Frieden und jage ihm nach“ gestellt. Das Wort entstammt Psalm 31, den kein Geringerer als der spätere König David geschrieben hat. Als David diesen Psalm schrieb, hatte ihn Gott bereits zum neuen König erkoren und vom Propheten Samuel salben lassen. Hatte David zunächst noch – aufgrund seiner Heldentat gegen den Riesen Goliath – die Anerkennung des bisherigen Königs Saul erlangt, so sah dieser ihn nur wenig später als Konkurrenten an und verfolgte ihm. David floh und musste sich verstecken. Er konnte erst nach Sauls tragischem Tod die Herrschaft über das Volk Israel übernehmen. Mitten auf der Flucht, so zumindest die Überlieferung, sang der politisch verfolgte David in Psalm 31 den Lobgesang Gottes, da dieser ihn vor den Nachstellungen Sauls bewahrt hatte:

„Ich will den Herrn loben allezeit,

sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Kommet her, ihr Kinder, hörte mit zu!

Ich will Euch die Furcht des Herrn lehren.

Wer ist’s, der leben begehrt und gerne gute Tage hätte?

Behüte deine Zunge vor Bösem

Und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden.

Lass ab vom Bösen und tue Gutes;

Suche Frieden und jage ihm nach.“

Verehrte Stiftungsversammlung, mit diesen Worten der hebräischen Bibel ist der große Spannungsbogen unserer deutschen Geschichte und unserer heutigen Gegenwart aufgemacht. In diesen herbstlichen Wochen denken wir bei den Worten Davids an Wendepunkte unserer Historie, werden zum Lobe Gottes aufgefordert, zugleich erinnert, unseren Kindern die Ehrfurcht Gottes zu vermitteln und ermahnt unsere Zunge in Zaum zu halten, Lüge und Trug zu vermeiden und dem Frieden zu dienen. Ein ziemlich großes Paket – nicht nur für eine kurze Ansprache, sondern auch für uns und unsere Zeit.

Gott zu loben und zu danken – das ist die ureigenste Aufgabe eines jeden Gläubigen. Denn: wer Gott lobt, setzt sich in ein Verhältnis zu ihm, in das richtige Verhältnis. Wer alles, was er oder sie erreicht, nur sich selbst zuschreibt, der ist auf dem Holzweg. Die antiken Denker bezeichneten den Sünder als in sich selbst verkrümmten Menschen. Das Gegenbild war der Mensch mit dem aufrechten Gang. Denn der aufrecht gehende Mensch ist derjenige, der den Blick zu Gott erheben kann und ihn zu loben bereit ist. Wer loben und danken kann, weiß, woher er sein Leben ableitet, woher er oder sie Kraft erhält, und wem er Rechenschaft schuldig ist. Diese zutiefst theologische Erkenntnis hat schnell auch ihren politischen Sinn. Eine aufrechte Haltung tritt dort als kritisches Korrektiv in Erscheinung, wo politische Ideologien oder ihre Vertreter Letztgültigkeit beanspruchen, sich quasi an die Stelle Gottes setzen und von Menschen Kniefälle, Verrenkungen, ein gebrochenes Rückgrat erwarten. In der im Kirchenkampf erwachsenen Barmer Theologischen Erklärung von 1934 (ein vergessenes Jubiläum des Jahres 2019) heißt deshalb nicht zufällig die erste, heute fast klassische These:

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.

Das war eine entschiedene Absage der Bekennenden Kirche an die Aussagen der Deutschen Christen. Ende 1933 hatten die Deutschen Christen in Thüringen der Kategorie des Volkes eine Offenbarungsqualität zugestanden und geschrieben: „Wie jedem Volk, so hat auch unserem Volk der ewige Gott ein arteigenes Gesetz eingeschaffen. Es gewann Gestalt in dem Führer Adolf Hitler und in dem vom ihm geformten nationalsozialistischen Staat. Dieses Gesetz spricht zu uns in der aus Blut und Boden erwachsenen Geschichte unseres Volkes.“

Blickt man auf die jüngsten Entwicklungen in Europa, in Deutschland und in Sachsen, so erscheint eine Erinnerung an Barmen durchaus bedenkenswert zu sein. Ich erinnere nur an die Identitäre Bewegung, die auch in Sachsen (nicht nur montags) aktiv ist, in deren konzeptionellen Vorstellungen völkische Kategorien eine Rolle spielen.

Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und auch der Christen spielen derartige Vorstellungen jedoch keine Rolle mehr. Gott sei Dank – und es ist eine Leistung der deutschen Geschichte und insbesondere auch der Kirchen, diese tiefen politischen, theologischen und weltanschaulichen Verfehlungen aufgearbeitet und überwunden zu haben. Gleichwohl scheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass theologische und kirchenpolitische Standortbestimmungen oft durch Konflikte entstanden sind, denn Konflikte nötigen zur Klärung anscheinend oder offensichtlich unklarerer Ausgangslagen.

Die Bedeutung intermeditärer Institutionen

Werfen wir nun einen Blick auf die Kirche als Institution samt ihren Teilen, also auch den Gemeinden und betrachten wir auch Stiftungen als zivilgesellschaftlichen Akteuren. Die bekannten deutsch-amerikanischen Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann haben bereits in den 1990er Jahren darauf hingewiesen, dass es für die politische Meinungsbildung, für die Debatte über gesellschaftliche Streitpunkte und über Zukunftsfragen des Zusammenlebens, der Wirtschaft oder der Umwelt vermittelnde, also intermediäre Institutionen braucht. Gesellschaftliche Institutionen, die eine intermediäre Rolle einnehmen können, also: trotz Eigeninteressen die Fähigkeit haben, unterschiedliche Gruppen der Gesellschaften einzubinden und zwischen divergierenden Positionen zu vermitteln, sind etwa Gewerkschaften, Verbände, Kirchen und auch Stiftungen. Nach Berger/Luckmann wird die „Vermittlungsleistung intermediärer Institutionen darüber entscheiden, ob die ständige latente Sinnkrise moderner Gesellschaften in der Regel im Zaume gehalten werden können“ – oder auch nicht. Nur wenn intermediäre Institutionen dazu beitragen, dass die subjektiven Erfahrungs- und Handlungsmuster der Individuen in die gesellschaftliche Aushandlung und Etablierung von Sinn miteinfließen, wird verhindert werden, dass die einzelnen Personen oder Gruppen sich in der modernen Welt als gänzlich Fremde wiederfinden.“

Mir scheint diese These überzeugend zu sein. Deshalb ist es leider immer noch eine Schwäche der ostdeutschen gesellschaftlichen Lage, dass intermediäre Einrichtungen hier schwächer vertreten sind als in anderen Teilen der Bundesrepublik. Dabei wären sie nötiger denn je. Mich stimmt optimistisch, dass die Zivilgesellschaft samt neuen Institutionen auch im Osten der Bundesrepublik heranwächst – Ihre Stiftung ist ein Beispiel, die Bürgerstiftungen in Chemnitz, Leipzig und Dresden wären ein anderes, die Cellex-Stiftung, Gruppen wie die „Aktion Zivilcourage“ in Pirna wären zu nennen. Die traditionsreichen Evangelischen und Katholischen Akademien in Meißen und Dresden und viele andere Basisgruppen gehören ebenso dazu. Mich hat jedoch überrascht, in welchem starken Maße in Sachsen weiterhin Erwartungen dezidiert an den Staat, an Politiker und Parteien gerichtet werden, um ihnen zugleich, wenn die Erwartungen nicht zügig erfüllt werden, rasch das Vertrauen aufzukündigen. Berger/Luckmann diagnostizieren ja zu recht, dass eine latente Sinnkrise quasi ständiger Begleiter moderner Gesellschaften ist. Sinn kann Politik nicht vermitteln – und es ist im Sinne der Barmer Theologischen Erklärung, dass sie es nicht tut. Lassen Sie mich aber auch deutlich festhalten: Eine Politik, die nicht von einem politischen Vorfeld, von intermediären Einrichtungen begleitet wird, in denen Meinungsbildung stattfindet, ist sich selbst überlassen – und damit schnell auch alleine gelassen. Politik und Parteien erfüllen nur dann in einer funktional differenzierten Gesellschaft ihre Aufgabe, wenn sie in den Meinungsbildungsprozess intermediärer Einrichtungen eingebettet sind – und dazu gehören Kirchen und Stiftungen fundamental dazu.

Zugleich ist die intermediäre Vermittlung eine hochgradig anspruchsvolle Herausforderung für Kirche und Zivilgesellschaft. Kirche muss entscheiden, wie und auf welche Weise, sie eine gesellschaftliche Vermittlungsleistung im Geiste des Evangeliums leisten kann und will. Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Wolfgang Huber hat einmal gesagt: Die Kirche leistet einen Dienst der Vermittlung zwischen der geglaubten und der erfahrenen Wirklichkeit. Das klingt einfacher als es ist. Meines Erachtens lassen sich mehrere Aufgaben aus dieser Positionsbeschreibung ableiten:

Erstens kann die Kirche ganz praktisch zu einer vermittelnden Institution divergierender Interessen – oder auch zu einem Schutzraum werden, wie sie es gerade in den 1980er Jahren in der DDR war. Der Anstoß zum Prozess über Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist eine andere Wegmarke einer solchen Moderationsrolle – die politisch sogar so erfolgreich war, dass diese Begriffe sogar Eingang in die sächsische Verfassung erhielten. Der interreligiöse Dialog etwa mit islamischen Gemeinschaften wäre eine weitere, aktuelle Facette der moderierenden Tätigkeit der Kirchen.

Zweitens ist das Bekenntnis ein wichtiger Beitrag der Kirchen und der Christen, zum Glauben zu stehen – auch öffentlich. Aus dem Glauben als spirituellem Erlebnis leiten sich ethische Maxime und soziale Verantwortungsübernahme ab. Auch und gerade, weil wir Christsein heute unter den Bedingungen der säkularen und pluralistischen Moderne leben, erscheint es mir auch pluralismustheoretisch wichtig, die dezidiert christlich-theologische Verankerung gesellschaftlich relevanter Werte in die Debatte nachdrücklich einzubringen.

Daraus ergibt sich drittens die Herausforderungen, die Anliegen des Glaubens und einer christlich begründeten Ethik zu übersetzen. Christsein unter den Bedingungen einer aufgeklärten, säkularen Moderne bedeutet immer eine Übersetzungstätigkeit zwischen unterschiedlichen Menschen, Gruppen, Sphären der Öffentlichkeit. Das ist eine anstrengende, aber notwendige, spannende und wichtige Aufgabe. Sie wird übrigens nicht nur nicht abgelehnt, sondern zum Teil geradezu gefordert. Vor zehn bis fünfzehn Jahren tat dies kein Geringer als der große Philosoph Jürgen Habermas. Er sprach von der Dialektik der Säkularisierung. Der moderne Säkularisierungsprozeß enthält damit eine neue Deutung: Er wird als doppelter Lerneffekt gesehen, der die Traditionen der Aufklärung ebenso wie theologisch-religiöse Vorstellungen zur Reflexion über ihre jeweiligen Grenzen nötigt. In diesem Zusammenhang fragt Habermas auch danach, welche Einstellungen und Erwartungen – gerade auch in politischer Hinsicht – der liberale Staat von religiösen Menschen einfordern kann – und wie Gläubige und Ungläubige miteinander umgehen können. Was Habermas nun an Religion interessiert, hat sehr stark mit den veränderten Kräften in der Gesellschaft, aber auch mit einer selbstkritischen Vernunftkritik zu tun: Er interessiert sich dafür, wie es gelingen kann, dass die Bürger moderner Gesellschaften jenseits des Rechtsgehorsams, also der Befolgung von Gesetzen, motiviert einen Beitrag zur politischen Kultur, zum Gemeinwohl und zur Solidarität leisten. Da die Moderne oft nur ihr kaltes Gesicht zeige, fordert Habermas ein gemeinschaftliches Vorgehen von Menschen mit Verantwortungsgefühl – das nun können Gläubige oder auch Ungläubige sein. Um einer uns allen vermutlich bekannten gesellschaftlichen Kühle entgegenzuwirken, braucht es möglichst viele, motivierte Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit einsetzen. Das ist leichter gesagt als getan. Habermas ist sich bewusst, dass Vernunftargumente allein in modernen Gesellschaften Menschen leider nicht zum Handeln motivieren. Hier erkennt er auch klare Defizite des neuzeitlichen Säkularisierungsprozesses. Mit Religion könne es eher gelingen, Menschen zu sozialen, auf das Gemeinwohl ausgerichteten Haltungen und Taten zu motivieren. Deshalb gründe sich der Respekt der Philosophie vor der Theologie, so Habermas, auf der Achtung vor Personen und Lebensweisen, die ihre Integrität und Authentizität ersichtlich aus religiösen Überzeugungen schöpften. Die Philosophie habe deshalb gute Gründe, sich gegenüber religiösen Überlieferungen lernbereit zu verhalten.

Allerdings: Natürlich garantiert das Grundgesetz nicht nur die negative, sondern auch die positive Religionsfreiheit, also das Recht auf ein Bekenntnis – und natürlich kann der religiöse Mensch als politisch denkender Zeitgenosse sich auch mit theologisch motivierten Argumenten in den öffentlichen Streit der Meinungen einmischen. Dies bedeutet aber, dass religiös motivierte Argumente in sachgemäßer Weise in den Diskurs übertragen werden müssen. Dafür bedürfe es der Offenheit sowohl der religiösen wie der nichtreligiösen Bürger unserer Gesellschaft, wie Habermas in seiner Friedenspreisrede 2001 darlegte:

„Die Kehrseite der Religionsfreiheit ist tatsächlich eine Pazifizierung des weltanschaulichen Pluralismus, der ungleiche Folgelasten hatte. Bisher mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung der Mehrheit zu finden. Die Suche nach Gründen, die auf allgemeine Akzeptabilität abzielen, würde aber nur dann nicht zu einem unfairen Ausschluss der Religionen aus der Öffentlichkeit und die säkulare Gesellschaft nur dann nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden, wenn sich auch die säkulare Seite einen Sinn für die Artikulationskraft religiöser Sprache bewahrte. Die Grenze zwischen säkularen und religiösen Gründen ist ohnehin fließend. Deshalb sollte die Festlegung der umstrittenen Grenze als eine kooperative Aufgabe verstanden werden, die von beiden Seiten fordert, auch die Perspektive der jeweils anderen einzunehmen.“

Schluss

Die Aufgaben zur Vermittlung und zum Dialog sind in einer Gesellschaft wie der Sachsens eher im Wachsen als im Schwinden, denn die sächsische Gesellschaft ist aktuell durch Polarisierungen, von Spannungen von Vertrauenskrisen gekennzeichnet ist. Deshalb ist es wichtig, im intensiven, auch konfliktträchtigen Austausch der Meinungen eine Verständigung über die Grundlagen unseres Zusammenlebens auszuloten. Moderne, demokratische Gesellschaften gelangen nie ohne Konflikte zu Lösungen. Wir müssen also konfliktbereit und zugleich lösungsorientiert sein. Dies geht am besten, wenn man auf einer starken ethischen Grundlage startet, mit einer klaren Wertebindung. Wer seinen eigenen Grund kennt, der ist am ehesten bereit, auf andere zuzugehen, zuzuhören, seine eigenen Werte so zu erklären und zu übersetzen, dass sie dem Gegenüber plausibel erscheinen – um am Ende auch einen Kompromiss zu suchen.

Kirche und Stiftungen sind dafür gute Lernorte und gute Diskussionsforen. Bei allem Streit in der Gesellschaft sollten wir aber im dreißigsten Jahr der Friedlichen Revolution auch nicht unsere historischen Grundlagen in Deutschland vergessen. Mutige, wertegebundene Ostdeutsche waren in der Lage einem diktatorischen Regime die Stirn zu bieten. Der Aufbau der neuen Bundesländer ist im Zusammenspiel vieler Menschen aus Ost und West vielleicht nicht perfekt gelungen, aber doch zu großen, wesentlichen Teilen. Unsere Gesellschaft hat es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verstanden, harte Gegensätze zu diskutieren und zu tragfähigen Lösungen zu führen. Ich bin froh, dass es im Jubiläumsjahr der Friedlichen Revolution eine Jahreslosung gibt, die Gabe und Aufgabe für uns Christen ist und bleiben wird. „Suche Frieden und jage ihm nach.“